Freitag, 12. Juni 2015

Mit großen Schritten und kleinen Füßen!

12.6.2015
Jeder lernt in seinem Leben das Sprichwort ‚Die Zeit rennt‘ kennen. Der eine früher, der andere später, aber es kommt mit Sicherheit. Ich persönlich kenne den Spruch schon recht lange, da ich mir den seit Jahren von meinen Eltern anhören darf.  Nach jedem Urlaub, Geburtstag, mit jedem abgeschlossenen Schuljahr, natürlich mit jedem gewachsenen Zentimeter, und jedem weiteren Schritt ins selbstständige Leben von meinem Bruder und mir.
Nun bin ich knappe 2o Jahre alt und benutze den Spruch fast täglich und noch häufiger schwirrt er in meinem Kopf herum. Man  könnte ihn als meinen unwillkommenen Dauergast beschreiben. De facto ich habe nur  noch 19 Tage hier in Indien und das letzte was ich  will ist ständig an den Abschied zu denken und noch viel schlimmer andauernd darüber reden zu müssen. Die Kinder im Waisenhaus kommen regelmäßig zu uns und erfragen zum x-ten Mal unser Abreisedatum. Wenn sie es dann von uns bestätigt bekommen,  weil sie es ja eigentlich schon wissen, machen sie dann große Augen und beteuern, dass sie alle traurig sein  werden an unserem letzten Tag.
Tatsächlich werden wir es genauso schwer haben. Gerade im Moment haben Luise und ich das Gefühl, dass die Kinder ein wenig aufblühen. Wie viele Monate habe ich es vermisst die Kinder gemeinsam spielen zu sehen, ob im Park oder Zuhause. Solange habe ich verständnislos daneben gestanden, wenn sich mal wieder eine Mädels Truppe anzickt nur weil sie ein ganzes Spiel für sich haben wollen ohne auch nur auf die Idee zukommen sich einfach ZUSAMMEN zu hocken und ZUSAMMEN zu spielen. 
Seit ein paar Wochen kann ich nun aber feststellen, dass die Mädchen plötzlich zusammen Kuchen backen im Park und ordentlich im Sand wühlen. Oder es schaffen unter allen drei von mir verteilte Spiele gerecht aufzuteilen. Ganz ohne Tränen, Wutausbrüche und Beschwerden.
Auch fordern sie unsere Nähe ein und damit meine ich nicht, dass ‘um-die-Aufmerksamkeit-der-Freiwilligen-geboxe‘ wie wir es auch oft genug hatten. Nun suchen sie zum Beispiel beim Fernsehen gucken unsere Hand, spielen mit unseren Fingern, lehnen ihren Kopf an unsere Schulter oder legen sich auf unsere Beine. Die kleine Pooja kam vor ein paar Tagen auf mich zu gerannt und hat mich mit einer festen Umarmung begrüßt. Sie reicht mir allerhöchstens bis zum Bauchnabel, aber Kraft hat sie. Das muss ich ihr lassen. Auf meine überraschte Nachfrage, ob  alles in Ordnung ist hat sie mich nur angestrahlt und gemeint, dass alles gut sei.
Diese Nähe zu den Kindern genieße ich im Moment sehr. Wir haben uns diese Verbindung über die letzten Monate erarbeitet und ich habe das Gefühl, dass die Arbeit mit den Kindern ab jetzt noch viel mehr Sinn macht.
Allerdings ‘Rennt die Zeit‘, wie wir alle wissen und meine Zeit ist nun so gut wie vorbei hier.
Die einzige Frage die mir noch bleibt;

Wie kann meine Zeit mit so riesen Schritten davon laufen, rennen, sprinten, bei meinen kurzen Stummelbeinen und meinen klenen Zwerglatschen?

Ansonsten haben wir die letzten Wochen versucht ein schönes Sommerferienprogramm zusammen zustellen!
Wir haben Armbänder geknüpft wobei so ziemlich alle nach den ersten missglückten Versuchen erfolgreich waren, außer ich...

Wir haben Hennafarbe gekauft und alle habene ein schönes Motiv gemalt bekommen. 

Tolle Ergebnisse :)

Uund Ulla Trulla hatte Geburtstag zusammen  mit eines der Mädchen. Somit haben sie sich einen Kuchen geteielt.

Da haben wir eine Sauerei veranstaltet. Die angemalten Füße haben wir im gesamten Office wieder gefunden.

GEMEINSAMES spielen im Park. Hier wurden 'Zuaten' für Sandkuchen, Blättermuffins und Co. gesammelt und geordnet.

Seit ein paar Tagen sind wir dabei alle gefertigten Blätter der Kinder  zu ordnen. Wir wollen am Ende unserer Zeit jedem der Kinder eine eigene Mappe schenken in der jedes ihre Kunstwerke und Übungsbätter bestaunen kann.

Bis bald Johanna

Dienstag, 2. Juni 2015

Der Rollentausch und die Frischlinge

02.06.2015
Ich habe nun genau 10 Monate Indien hinter mir und ich muss gestehen, dass mir der Schreibstoff im letzten Monat ein wenig ausgegangen ist. Man hat seinen Alltag, die Arbeit mit den Kindern, Essen kochen, dann nochmal zu den Kindern für das Nachmittagsprogramm, dann geht’s nach Hause nochmal kochen falls Motivation da ist, lesen, einen Film gucken oder sich mit Freunden treffen.
Das sind alles Dinge die ich nicht so unbedingt berichten muss und somit habe ich auf den glorreichen Einfall gewartet was mal wieder Schreibens und Berichtens wert ist. Und wie das nun mal so ist kommen einem die Ideen dann zugeflogen, wenn man aufgehört hat drüber nachzudenken. So ist es auch mir ergangen.
Ich habe letztes Wochenende völlig groggy im Bett gelegen und über die lange Nacht nachgedacht die wir hinter uns hatten. Während meines Resümierens ist mir also aufgefallen wie sich nach 10 Monaten unsere und auch meine Rolle in unserer Freundesgruppe, aber auch bei den Kindern verändert hat.
Wir sind hier angekommen und waren natürlich auf alle und jeden angewiesen, da wir kaum etwas alleine auf die Reihe bekommen haben. Fragen wie ``Wo ist der nächste Supermarkt?`` oder ``Wie komme ich von A nach B?``, ``Wieso dürfen keine indischen Männer bei uns in die Wohnung, aber europäisch aussehende schon?``, ``Wie funktioniert die Waschmaschine?``, ``Wie finde ich heraus, ob die Obst und Gemüseverkäufer auf der Straße mich übers Ohr hauen?``, ``Ist es unhöflich, dass ich nicht die traditionelle Kleidung anziehen möchte, weil ich sie unbequem finde?``, ``Was darf ich in meinem Blog veröffentlichen, was nicht und wie ehrlich darf oder muss ich sein?``, ``Wieso nennen mich alle Madame oder Sister?`` und ``Warum zum Teufel kommen ständig wildfremde Menschen in meine Wohnung und fangen aus heiterem Himmel ein Gespräch mit mir an?``.
All so alltägliches mussten wir uns fragen, um Hilfe bitten und am Ende vieles herausfinden. Und so wurde beispielsweise unsere erste Busfahrt die Luise und ich hinter uns brachten ein gefeiertes Ereignis. Einfach nur, weil es ein Schritt Richtung Selbstständigkeit war.
Dieses ‘Herausfinden‘ ist ein wenig abgeklungen. Wir sind alle ziemlich sicher im Alltag, wissen nun gerade so wo der Supermarkt ist und wundern uns schon gar nicht mehr über Fremde in unserer Wohnung, sondern nehmen diese eher als willkommene Abwechslung. Aber auch so Kleinigkeiten wie das Wissen wo man seine Produkte am günstigsten bekommt, welches Taxiunternehmen die besten Preise hat, wo man Schuhe flicken lassen kann, Fotos entwickeln lässt, zu welcher Zeit man die Hauptverkehrsstraßen lieber meidet, weil sie zur Rush Hour komplett überfüllt sind und wo man einen gescheiten Kaffee bekommen kann. Das sind alles Dinge die wir uns über Monate erarbeitet haben. Es ist ein gutes Gefühl sich nun auch die kleinen Tücken des Alltages zu meistern nur um sich selber zu beweisen, dass man das alleine schafft. Das gibt uns viel Selbstständigkeit, welche ich in den Anfangsmonaten vermisst habe.
Genauso mussten wir auch den Respekt sowie Zuneigung der Kinder erst ausbauen. Die Kinder waren super offen und interessiert uns gegenüber, aber trotzdem haben sie uns immer wieder ausgetestet was sie mit uns machen können, was nicht und wie weit sie gehen können. Das hat mich generell nicht gewundert, da das normal ist seine Grenzen auszukundschaften. Es war und ist aber noch immer oftmals einfach nur super anstrengend. Auch heute müssen wir uns immer noch beweisen und auch durchaus den Kindern mal die Meinung sagen und deutliche Worte finden.
Auch in unserer Freundestruppe weiß man, dass wir nun einige Zeit hier verbracht haben und nun sind wir es die Fragen beantworten, Probleme versuchen zu lösen und helfend zu Seite stehen. Wo wir noch am Anfang die waren, die auf andere angewiesen waren sind es nun andere, welche später angekommen sind.
Die Neuankömmlinge sind meistens nicht sonderlich schwer zu identifizieren. Wenn wir uns in einer großen Gruppe treffen geht es meistens recht laut und chaotisch zu. Alle werden mit einer Umarmung oder einem Küsschen oder zwei (wir haben recht viele Franzosen hier) begrüßt und jeder klatscht und tratscht mit jedem. Man kennt sich halt. Die Frischlinge stehen dann zumeist auf einem Haufen, wissen nicht so richtig wohin, machen alle große Augen, wechseln vom rechten Bein zum linken und wieder zurück, halten sich am Glas fest, welches ihnen von dem in die Hand gedrückt wurden ist der sie mitgebracht hat und dabei versucht man natürlich seine Unsicherheit zu verstecken und ganz lässig, locker flockig zu wirken.
Nicht das das jetzt irgendwie fies klingt. Wir vier deutschen Mädels standen vor ein paar Monaten genauso da. Das Ganze ist aber nicht schlimm, weil die Leute hier es verstehen die Neuen zu integrieren. Alle paar Wochen kommen hier internationale Leute an die genauso wie jeder andere auch Anschluss suchen. Jedes Wochenende hat man die Chance einen neuen, netten Menschen aus irgendeinem Teil der Erde kennenzulernen und sich auszutauschen. Das ist etwas, was ich sehr zu schätzen gelernt habe. Immer im Austausch mit interessanten Kulturen zu sein und über die indische hinaus auch andere Kulturen kennen zu lernen. Wir haben ein paar Europäer hier wie Deutsche, Franzosen, Italiener, Polen, Ukrainer und Spanier, sowie Iraner und Russen, Somalia und Kanadier, Ägypter und die größte Truppe bilden die Südamerikaner mit Kolumbianern und Brasilianer.

Das hält die Wochenenden bunt und es wird nie langweilig. 
Bis bald Johanna
P.S. Indische Hochzeit :)