Sonntag, 5. Juli 2015

Mein erstes Mal auf dem Schoße der Inderin

1.7.2015
Die ‘vielen ersten Male‘ in unserem Leben und sie zu erfahren, ob es das ganz herkömmliche und aufregende erste Mal mit dem Partner ist, der erste widerliche Schluck von Mamas Kaffee oder Papas Bier, das erste Mal alleine Autofahren oder schlicht und ergreifend das erste Mal nach Indien fliegen. ‘Erste Male‘ sind immer aufregend und bleiben, falls nicht zu viel Alkohol oder andere Sachen im Spiel waren ziemlich nachhaltig im Kopf.
Ich denke ich hatte schon das ein oder andere Mal mein erstes Mal und in den letzten Tagen musste ich zu oft ein ‘letztes Mal‘ mitmachen.

Nach meinen neuesten Erfahrungen kann man dieses Ereignis ‘das letzte Mal‘ genauso mitzählen und zelebrieren wie die ‘ersten Male‘, macht halt nur weniger Spaß.

Um es mit einfachen Worten zusagen. Mein Jahr Indien ist vorbei. So wie ich auf meinem Hinflug vor fast genau 11 Monaten meinen ersten Blogeintrag angefangen habe zu schreiben, so schreibe ich meinen letzten auf meinem  Rückflug. Um ehrlich zu sein habe ich mich eine ganze Weile gegen den letzten Eintrag gewehrt. Mir wollte nicht so richtig einfallen was ich schreiben soll und wie ich es ausdrücken soll ohne es zu melancholisch klingen zu lassen und sowieso wäre es der Abschied dann zu schnell, zu real geworden.

Nach einem aufbauenden und nahrhaften Flugzeugessen, zwei Filmen (The Golden Girl und 500 Days Summer, wo ich den ersten mehr als empfehlen kann) und nun Aretha Franklin im Ohr habe, habe ich nun aber doch erfolgreich meine Eier unterm Rock wiedergefunden und verfasse nun meinen letzten Beitrag.
Denn sind wir doch mal ehrlich!

Wo etwas aufhört da fängt mit Sicherheit auch wieder etwas Neues an. Und dann heißt es wieder „Ich hatte heute zum ersten Mal….“
Indien verlasse ich mit vielen positiven Gedanken, Gefühlen und  Eindrücken, sodass es mir gerade schwer fällt mich an irgendwelche negativen Eindrücke zu erinnern. Das stört aber nicht weiter. Waren eh mehr positive als negative und schließlich ist das ganze ja auch mein Blog und somit kann ich so subjektiv und blumig über meine Zeit hier berichten wie ich  möchte.

Meine ‘letzten Male‘ in Indien fangen mit dem ‘letzten Mal‘ zu den Kindern gehen an und hören mit dem ‘letzten Mal‘ enge Freunde sehen auf.
Der Abschied der Kinder war unerwartet schön für uns alle. Wir haben gleich drei feste zusammenpackt und alle am gleichen Tag gefeiert.
1. Der 11. Geburtstag eines der neuen Mädchen. Wir haben mehr als 13 neue Mädchen im Waisenhaus die das ganze Leben dort wieder  mal ganz schön aufwirbeln. Luise und ich hatten leider nicht so richtig die Möglichkeit uns mit ihnen zu unterhalten, aber ich bin mir sicher, das dass die nächsten Freiwilligen aufholen werden.
2. haben wir Raji gefeiert, welche nun in einem Alter ist in dem sie vom Teenager zur Frau wird. Zu diesem Anlass bekommt sie ihren ersten Saree und zusätzlich viele Essensachen geschenkt.
Und zu guter Letzt, wir Freiwilligen und unser Abschied; Die Nummer 3.
Von unseren Vorgesetzen und Ansprechpartnern der Organisation haben als Dankeschön eine kleine ziemlich kitschige, silberne Figur vom Wahrzeichen Hyderabads bekommen und eine Karte wo alle Kinder, unser Manager, Präsidentin und ein paar Mitarbeiterinnen unterschrieben haben. Zum Schluss haben wir noch ein paar Worte an die Kinder gerichtet und ihnen unseren Mappen in die Hand gedrückt. Hier sind alle angefertigten gemalten Blätter, Englisch und Matheblätter und ein paar Fotos von ihnen aus dem letzten Jahr gesammelt drinnen. Das ganze endet mit einem  Brief von Luise und mir in dem steht, dass sie sich ihre lebhafte, neugierige und ansteckend Art beibehalten sollen, wir unsere Zeit mit ihnen genossen haben und wir von ihnen genauso lernen durften und nicht nur andersherum.
Zum Ende gab es dann noch eine wilde Tanzsession mit Kindern, uns und sogar der Präsidentin. Ich glaube, dass die kleinen Kinder das nicht ganz verstanden haben, dass wir nun wieder zurück nach Deutschland fahren. Somit war die Stimmung allgemein ziemlich ausgelassen und nicht gedrückt so wie ich es befürchtet hatte. Zum Schluss gab es noch ein super leckeres Essen wobei wir ein ‘letztes Mal‘ mit den Mitarbeiterinnen zusammen auf dem Boden saßen, mit den Händen ordentlich Reis geschaufelt haben und ein paar interessanten Lebensgeschichten lauschen durften. Hierbei mussten wir doch das ein oder andere Mal schwer schlucken und das nicht wegen dem scharfen Hühnchen welches wir aßen.
So durften wir also an unseren letzten Tagen zum ersten Mal Rosi treffen. Diese wurde von unserer Organisation um 1999 auf der Straße aufgegabelt und hat sich zuerst gut eingegliedert, Fortschritte gemacht und wurde zu einer wichtigen Mitarbeiterin für CMM und zu einer engen Freundin für unsere Präsidentin. Leider, und in diesem Kontext kann man wohl wirklich von leider sprechen, hat sie dann  ihren neuen Freund kennen gelernt der ihr den Umgang mit CMM verbot. Wieso, weshalb, warum bleibt geklärt. Sicher ist, dass Rosi eine tolle ausgebildete Frau ist, aus gutem Haus stammend und einen guten Englischen Wortschatz besitzt und trotzdem in die Laufbahn einer  Prostituierten gekommen ist, mit einem Alkoholproblem zu kämpfen hat und ihre zwei Söhne verloren hat durch ungeklärt Gründe

Das alles durch einen oder zwei falsche Einflüsse in ihrem Leben.

Ihr Ex-Ehemann hat ihr Drogen gegeben und sie zur Prostitution gezwungen um seine eigene Haushaltskasse aufzubessern. CMM hat sie all die Jahre nicht aufgegeben und ihr immer eine Hand gereicht. Glücklicherweise hat sie die Chance auf einen Arbeitsplatz genutzt. Von ihrem Ex-Ehemann hat sie nun kein Kontakr mehr, aber auch ihr neuer Partner verbietet ihr den Umgang mit CMM. Nun kommt sie nur noch heimlich ohne dass ihr Freund etwas davon weiß.
Nach all diesen Schicksalsschlägen hat sie uns an diesem Abend aber auch erklärt auf was es nun in ihrem Leben ankommt.

Gesundheit. Mehr nicht. Sie hat mehrmals versichert wie gut es ihr jetzt geht und wie dankbar sie meinem Manager ist, weil er sie vor Jahren nicht aufgegeben hat und immer und immer wieder zu ihr gekommen ist und ihr das Angebot gemacht hat doch zu CMM zu kommen und sich ein Bild davon zu machen und eventuell Teil dessen zu werden. Welches  Angebot sie dann auch schließlich angenommen hat. Durchhaltevermögen zahlt sich aus.

Ihren Vortrag hat sie mit dem Satz abgeschlossen „Und Mädels, benutzt immer ein Kondom“!
Tja, was soll man da auch erwidern. Recht hat sie die Rosi.

Der Abschied von unseren Freunden lief da ein wenig anders ab. Für die engeren Freunde haben wir ein Essen organisiert und für alle eine Party veranstaltet die in einem Club stattfand. Auch die Zeit davor war unsere Woche mit Treffen mit unseren Freunden geschmückt die uns  einfach so nochmal beim Essen sehen und sprechen wollten. Das gab auf den letzten Metern in Indien nochmal  ein gutes Gefühl. Es ist schön zu sehen, dass auch wir kleinen Deutschen Mädels ihnen ein wenig was bedeutet haben.
Es wäre gelogen, wenn ich nun behaupten würde, dass ich bei den einzelnen Abschieden tapfer war. War ich nicht. Ich habe geheult wie ein Schlosshund. Ich hätte zum Teufel noch mal nicht damit gerechnet, dass mir diese verfluchten Jungs und Mädels so ans Herz wachsen. Diese verdammten, immer hilfsbereiten, stets grinsenden, mit großen ausgestatteten Schultern, gut gelaunten und gastfreundlichen Inder. Da kann ja auch keiner mit rechnen. Ich habe sie alle sehr genossen, mit ihnen gefeiert, gegessen, getrunken, gesprochen über wichtige und unwichtige Themen diskutiert und mit ihnen genauso gut gestritten. Um es mit Suyash‘s Worten zu sagen „Mit wem soll man denn sonst streiten, wenn nicht mit den engsten Freunden. Mit ihnen kann man streiten, aber ihnen kann man genauso gut verzeihen“.

Das Tschüss sagen zu  meinen Mädels fiel mir vergleichsweise einfach, da ich drei von ihnen sicher zum Abschlusseminar in Frankfurt wiedersehe und die letzte bekomme ich auch früh genug wieder zu greifen. Da bin ich mir sicher.

Somit war es das jetzt mit meinen ‘ersten und letzten Malen‘ in Indien, aber wie ich es schon angesprochen habe. Ein jedes letztes beinhaltete auch ein erstes Mal. Somit saß ich nach 10 ½ Monaten in einer überfüllten Auto Rikshaw. Hinten die Frauen und vorne die Männer (aus Anstandsgründen getrennt) und genau aus diesem Grund hat mir eine ältere Inderin auch direkt angeboten bei ihr auf dem Schoß zu sitzen, damit ich mich nicht nach vorne setzen muss. Somit hatte ich das Vergnügen ganz selbstverständlich bei einer fremden Inderin 20 Minuten auf einer holprigen Rikshawfahrt auf dem Schoß zu sitzen, welche mich noch mit ihrem Arm festhielt, sodass ich auch ja nicht rausfalle.

So kann ich sagen, das dass vielleicht mein erstes Mal auf dem Schoß einer fremden Inderinwar, aber in diesem Fall bezweifle ich, dass es das letzte Mal war.

Bis bald Johanna bzw. Mutti ;)