Sonntag, 7. Dezember 2014

'Routine'



Johannas Tag:
Luise und ich haben die Möglichkeit jeden Morgen so richtig schön ausschlafen zu können und diese nutzen wir auch. Schon morgens dringen die Stimmen der Händler auf den Straßen zu uns in den 4. Stock. Jeder hat so seinen eigenen Singsang drauf an dem selbst wir schon den einen oder anderen erkennen ohne ihn zu sehen, wie zum Beispiel den Zwiebelmann oder der Schnick-schnack-krims-krams Verkäufer.
So um 10 Uhr bequemen wir uns also aus dem Bett um zusammen zu frühstücken. Wir haben uns den Luxus genommen, jeden Morgen Cornflakes und Haferflocken zu essen. Das mag sich nicht unbedingt nach Luxus anhören, alleine weil ich das in Deutschland auch jeden Morgen gemacht habe und das für mich das normlaste von der Welt war. Hier allerdings würden wir jeden Morgen umsonst Frühstück bekommen, allerdings scharfen Reis mit Soßen. Das indische Frühstück haben wir die ersten zwei Wochen ausprobiert, aber wir waren uns einig, dass wir das mögen, aber nicht unbedingt damit den Tag starten müssen. Allerdings ist Müsli verglichen zu anderen Lebensmitteln teuer. Durch unsere Frühstücksgewohnheit die halt auch ein wenig Milch benötigt haben wir unseren Lieblings  Milchmann getroffen, der auch gleichzeitig die Aufgabe des Telugulehrers übernommen hat. Nun kann ich meine Milch und meinen Joghurt auf Telugu bestellen ‘‘oaka half liter  palu, oaka perugu‘‘. Wenn ich damit ankomme, freut er sich immer und wenn ich ihm dann noch auf Telugu eine gute Nacht wünsche kann er sich ein Lachen meist nicht mehr verkneifen.
Am Morgen erledige ich meistens noch ein paar angefallene Sachen wie Blogeinträge schreiben, die Bude auf Vordermann bringen, Stundenvorbereitung für den Tag oder einfach nur lesen. Dann geht’s los entweder mit dem Zug in dem Slum zu den Mädels. Hier werden wir manchmal mehr manchmal weniger erwartet. Die Mädchen haben das eine oder andere Mal ein kleines Motivationsproblem und daher müssen wir uns immer nette Lernspiele ausdenken, damit wir sie bei der Stange halten. Die Arbeit dort macht uns aber Spaß und daher bleiben wir da dran. In dem Lehrraum ist in unseren Unterrichtsstunden immer high life. Zur Mittagszeit wird dort für die Kinder essen ausgeteilt und auch ‘Mittagsschlaf‘ gehalten. Letzteres klappt immer mit weniger Erfolg, da unsere Arbeitsmaterialien und wirklich alles andere grade spannender scheint, als ein Mittagsschlaf. Die Kiddies werden dann immer von der Köchin zur Räson gerufen. Die Frau ist sicherlich schon über die 60 Jahre und ich würde sie als gute Seele des Slums bezeichnen. Jeden Tag kocht sie große Mengen Reis, Eier und eine Soße für alle Kinder des Slums, teilt es aus und füttert sie auch manchmal. Zudem hat sie ein Stimmenvolum auf das man neidisch sein kann, wenn ihr etwas nicht gefällt, dann hören das auch noch die Nachbarn 3 Hütten weiter. Und sie schafft es einfach  immer tolle Saris zu tragen.
Irgendwie eine tolle Frau!

Oder wir fahren in die Schule, die für Kinder aus ärmeren Verhältnissen ist. Hier geben wir dann den 3., 4. oder 5. Klässlern Computerunterricht. Wenn wir dort ankommen, rennen die Schüler uns schon entgegen und rufen ‘Aka, Aka‘, was übersetzt sowas wie Schwester heißt. Ich finde es ganz schön, dass die meisten uns mit ‘Sister‘ oder ‘Aka‘ ansprechen, weil ich mich nicht als ‘teacher‘ und schon gar nicht als Madame fühle oder sehe. Es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis der Trubel um uns weniger wird an der Schule.
Zum Mittag kommt dann unsere persönliche gute Seele, Amma, zu uns und bringt uns unser Lunch. Das besteht meist aus Reis, einem Curry und manchmal Chapatis. Ich liebe ihr Essen und ich habe mir fest vorgenommen, ihr einmal über die Schulter zusehen, wie sie ihre Currys macht, damit ich das Zuhause vielleicht auch mal hinbekomme. So wie sie, schaffe ich es aber nie, mache wir uns mal nichts vor. Nach der Mittagspause die ich mir 2 Kaffee rumzukriegen pflege geht es dann weiter zum Waisenhaus. Hier warten 22 Mädels auf uns, die alle gleichzeitig animiert werden wollen. An manchen Tagen machen wir einfach nur Hausaufgaben mit ihnen, lesen etwas oder spielen Spiele mit ihnen. Manchmal planen wir aber auch ein Programm, welches wir dann versuchen mit möglichst wenig Chaos durchzukriegen. Wenn wir neue Materialien mitbringen ist die Aufregung meistens so groß, dass das eigentlich Programm in den Hintergrund gerät und einfach nur die zum Beispiel neuen Stifte, bunte Blätter oder Plakate ausprobiert werden müssen. Mal früher mal später machen wir dann dort Schluss und setzen uns entweder noch mit unseren Handys hin und gehen ins Internet oder gehen nachhause. Angekommen warten dann die anderen zwei Mädels auf uns und wir essen alle zusammen Abendbrot und schnacken meistens noch ziemlich lange über unseren Tag und Gott und die Welt. Entweder wir gehen dann getrennt Wege und lesen noch oder wir machen einen Filmeabend.
Dann geht’s ab in die Furzmulle und am Morgen geht’s wieder los.
So oder so ähnlich sieht mein Tagesablauf hier in Indien aus. Es hat lange gebraucht, an die 2 Monate, um so etwas wie eine Routine reinzubekommen. Allerdings weiß man hier nie, was einem der Tag bringt. Einmal wird man spontan vom Manager zu einer großen Veranstaltung mitgenommen, wie dem World Aids Day oder man darf statt der 1/2 Stunde warten auf den Bus mal  1 1/2h warten oder in einem Tempel übernachten und leben plötzlich Männer 41 Tage im Tempel der nicht weit von uns weg ist oder wir haben mal wieder 4 Tage Wassermangel und sind gezwungen Katzenwäsche zu betreiben, dann verschwindet unser Mülleimer vor der Tür, dann taucht eine Zeitung vor unserer Tür auf wie von Geisterhand, dann werden wir spontan zu einer Party eingeladen, dann dürfen wir mal wieder Fotos mit Indern machen die sich freuen, weiße zusehen und immer gut ist wenn wir früh morgens erfahren, dass heute ein Feiertag ist und wir nicht arbeiten brauchen.
Somit ist das Wort Routine hier nicht ganz angebracht, aber genau das genieße ich.
Bis bald Johanna